Eine Hilchenbacher Episode aus der deutschen Automobilgeschichte
Friedrich Wilhelm Weiss (7.4.1796 - 13.10.1875) hatte der früher in der Leimindustrie sehr erfolgreichen Firma F.W. Weiss Dnls. Sohn m.b.H. seinen Namen gegeben und die Grundlage zur Weiterentwicklung
gelegt (siehe hierzu auch unsere Site “Leimindustrie”. Sein Enkel Albert Rudolf Weiss jun. (27.4.1866 -
22.10.1938) war allen technischen Neuerungen aufgeschlossen, wie die damaligen Fabrikeinrichtungen zeigten. Acht Jahre, nachdem der Automobilpionier Carl Benz in Mannheim den ersten Motorwagen gebaut hatte, kauften
A.R. Weiss jun. und seine Brüder im Jahre 1894 als erste in Westfalen ein Automobil für 4 Personen, den Benz Motorwagen Nr. 112, einen sogenannten “Vis-à-vis” mit 6 PS.
Den Automobilnarren mehr als 100 Jahre später hier ein paar Informationen, die ein Gefühl für das damalige “Fahrvergnügen” vermitteln sollen: Das Gefährt war eine Kutsche mit Motor,
Getriebe und Lenkvorrichtung. Die Holzräder waren mit Vollgummi bereift. Der Motor hatte Wasserkühlung wobei eine Wasserfüllung für eine Strecke von ca.
20 km reichte. Um den Motor in Gang zu setzen musste ein Schwungrad von Hand gedreht werden bis die Zündung erfolgte, was oft eine aufregende Sache war. Kam keine
Bild 1 - Das erste Auto in Hilchenbach, der Benz Nr. 112 von 1894
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Zündung zustande, musste man aussteigen und am Motor den Gemischverstellungshebel betätigen. Sobald der Motor lief, regulierte man ihn mit dem Drosselklappenhebel ein. Dann konnte die Fahrt
beginnen. Dazu schaltete der Fahrer die kleine Geschwindigkeit mit einem Hebel unterhalb des Lenkrades ein, indem der Riemen auf der Stufenscheibe, welcher über den kleinsten Durchmesser der
Scheibe lief, langsam hinüber auf die feste Scheibe des Vorgeleges geschoben wurde. Der Wagen bewegte sich nun mit einer Geschwindigkeit von 3-5 Stundenkilometer vom Platze weg. hatte
man ungefähr eine Stundengeschwindigkeit von 8 km erreicht, schaltete man die kleine Geschwindigkeit aus und die zweite, größere ein. Nun konnte der Wagen die Höchstgeschwindigkeit von
18 - 20 Stundenkilometer erreichen.
Doch nun zurück zur Episode der deutschen Automobilgeschichte: Bei Überlandfahrten fuhr ein Schlossermeister als Bordmechaniker mit.
Autowerkstätten gab es damals nur in Großstätten. Der spätere Automobilindustrielle August Horch war vormalig Betriebsleiter der
Motorfahrzeugabteilung der Firma Carl Benz & Cie in Mannheim. Horch betrieb seit dem 1. November 1899 eine eigene Reparaturwerkstatt
für Automobile in Köln-Ehrenfeld. Hier ließ Albert Rudolf Weiss seinen ersten Benz-Wagen, den “Vis-à-vis” warten und reparieren.
Aus der umfangreichen Korrespondenz zwischen August Horch und A.R. Weiss hier ein Schreiben vom 20. 11. 1900, nachem eine Rechnung vom 12. 7. 1900 noch nicht ganz geklärt war zwischen den beiden:
Herrn Alb. Rud. Weiss
Wir empfingen Ihr w. Schreiben & freuen uns, daß Sie mit der Zündung jetzt zufrieden sind. Wenn wirklich mal eine Schraube toll wird, so
wird sich diese tolle Schraube ja wohl bändigen lassen. Allerdings ist es uns unbegreiflich, wie sich an der von Ihnen beschriebenen Stelle die Schrauben lösen können.
Unser erster Wagen wird in dieser Woche hoffentlich ganz fertig. es wird jetzt von der Wagenfabrik Uffermöhle das Obergestell aufgebaut,
mit dem fertigen Untergestell sind wir schon gefahren. Der Motor arbeitet vorzüglich & würde es uns freuen wenn Sie sich denselben einmal
ansehen würden. Unserem H. Horch ist es warscheinlich wohl nicht möglich in den ersten Wochen nach dort zu kommen, sollte es aber
eben gehen, so wird der dort erscheinen. Wie gesagt hoffen wir jedoch Sie inzwischen hier zu sehen.
Falls Sie für uns Wagen verkaufen würden, so sind wir natürlich sehr gerne bereit Ihnen 10% der Verkaufssumme zu vergüten, & ist es
uns möglich in circa 2 Monaten 2-3 Wagen zu liefern. In der nächsten Woche wird unser Wagen photographiert & werden wir Ihnen ein Bild
desselben dann einsenden. Einl. finden Sie chon den Entwurf zu unserem Catalog, der augenblicklich dim Druck ist. Der Preis für den
4sitzigen Wagen ist 4150 Mk, Mehrpreis für Magnetzündung 100 Mk, für Kühlschlange & Pumpe 150 Mk, für Centralölung 75 Mk.
Wir würden Ihnen wegen der Rechnung nicht geschrieben haben, wenn wir thatsächlich augenblicklich nicht all unser grosses & auch das
kleine Geld bebrauchten & würden Sie uns wirklich verbinden, in dem Sie uns den Betrag bis auf die noch zwischen uns zu verrechnenden Punkte einsenden.
Außerdem möchten wir Ihnen noch verraten, daß wir in nächster Zeit einen Commanditisten suchen, der sich vorläufig bei uns mit 25-50.000 beteiligen soll.
Falls Sie also doch in Hilchenbach oder auch anderswo jemanden wissen, der für solch eine Sache Interesse hat, so wären wie Ihnen dankbar, wenn Sie an uns denken würden.
Hochachtend
A.Horch & Cie
Wie aus dem erwähnten Schreiben der Firma August Horch & Cie vom 20. November 1900 zu ersehen ist, hatte A. Horch in seiner Fabrik
in Köln-Ehrenfeld, die aus einem gemieteten Pferdestall mit 15 Mitarbeitern (5 Schlosser, 1 Gießer, 3 Dreher, 1 Schmied, 2 Hilfsarbeiter, 1
Monteur und 2 Lehrlinge bereits einen eigens von ihm konstruierten Auto-Prototyp im Bau. Wie die weitere vorhandene, umfangreiche
Korrespondenz zwischen August Horch und Albert Rudolf Weiss jun. besagt, suchte A. Horch an einer Möglichkeit, dieses neue
Automodell in größerer Stückzahl, als es in dem ehemaligen Pferdestall möglich war, zu fertigen.
Albert R. Weiss als begeisterter und fachkundiger Automobilist bot ihm die Möglichkeit und zeigte großes Interesse an der Herstellung
dieses Wagens mit damals revolutionären Neuerungen. Das neue Automobil sollte in Hilchenbach auf dem Areal der Leimfabrik von F.W.
Weiss Dnls. Sohn in einer Bauserie von vorerst 100 Stück hergestellt werden. Der neue Wagen sollte für die damalige Zeit mit sehr interessanten Neuerungen ausgestattet werden und in Hilchenbach gebaut werden.
Im Zuge der neuen Automobilproduktion war vorgesehen, zunächst auf dem Gelände von “Ningeln Bau”, dem damaligen Gelände der F.W.
Weiss Dnls. Sohn m.b.H. Leimwerke und dem heutigen Gelände von Ulrich Schmidt, Hilchenbach, Fabrik für Schraubwerkzeuge, die
Fertigungseinrichtungen aus der Köln-Ehrenfelder Werkstatt zu installieren und zusätzliche Maschinen und Fabrikationseinrichtungen zu
beschaffen. Sollte später, aus Platzmangel, eine Verlagerung aus dem Areal der Leimfabrik notwendig werden, so war an eine Ausdehnung im oberen Ferndorftal in Richtung Dahlbruch oder nach Lützel gedacht.
Horch versuchte, in Köln und anderen Städten bei Banken und Privatleuten Kapital aufzutreiben. Es war überall vergebens. In seinem Buch “Ich baute Autos” schrieb er hierzu später:
“Nur ein einziger Mann interessierte sich für die Horch & Cie. Das war Herr Weiss aus Hilchenbach in Westfalen. Er war ein guter Kunde
von uns, und wir hatten des öfteren seinen Benz-Wagen rapariert, dabei hatte er iimer sehr lebhaftes Interesse für alles gezeigt, was wir in
unserer kleinen Fabrik unternahmen. Herr Weiss besaß mit seinem Bruder zusammen in Hilchenbach eine Leimfabrik und er schlug mir
vor, hinzukommen und mir seine Fabrik anzusehen. Diese verfüge, wie er sagte, über außerordentlich große Areals und Räume und meine Fabrik könne dort sehr leicht unterkommen.
Mit dem Redakteur Keil, dem Werbeleiter von Benz in Mannheim, fuhr ich dann nach Hilchenbach. Keil sollte die kaufmännische Leitung meiner Firma übernehmen.
Das Areal der Leimfabrik war in der Tat groß, und ich trat in ernstliche Unterhandlungen mit den Brüdern Weiss.”
Albert Rudolf Weiss animierte seine Brüder, sich an einer neuen Automobilfabrik A. Horch & Cie in Hilchenbach finanziell zu beteiligen.
Ebenso gewann er H. Waltfried aus Emmerich für dieses Projekt.
Auch der Horch’sche Compagnon Herz hatte versucht, anderswo Geld und Teilhaber für eine Neugründung zu bekommen. Er verhandelte
mit einer Aktiengesellschaft in Thüringen, welche auch Interesse zeigte.
Inzwischen geriet A. Horch & Cie in Zahlungsschwierigkeiten. Die Interessenten in Hilchenbach und Thüringen sollten außer Finanzmittel
für die Neugründung auch die Verbindlichkeiten für die finanziell desolate Fabrik in Köln übernehmen. Die Gebrüder Weiss verlangten eine
genaue Bilanz und einen Vergleich zur Abwendung eines Konkurses, wie aus einem Schriftstück von M. Levy, einem gerichtlichen Revisor in Köln, zu ersehen ist.
Am 23.1.1902 machte der Bruder von Albert Rudolf Weiss, Fritz Weiss in Stuttgart, seine Bereitschaft zu einer Teilhaberschaft an einer
neuen Fabrik in Hilchenbach davon abhängig, daß alle Anfangsgründer an dem Vorhaben mittun, also die vorhandene Firma in Köln wieder
solvent zu machen und die neue Firma mit ausreichenden Geldmitteln auszustatten. Das gelang aber nicht, denn Herz wollte aussteigen.
Damit war ein Neubeginn für Horch in Hilchenbach aussichtslos und die Hilchenbacher Episode des Automobilbauers August Horch zu Ende.
Für den Interessierten seinen noch einige Daten über seinen späteren Werdegang vermerkt: A. Horch gelang es dennoch, einen Teilhaber,
und zwar Herrn Bauer aus Gera (Direktor und Teilhaber der Gerauer Maschinenfabrik) zu gewinnen und im März 1902 einen
Gesellschaftsvertrag abzuschließen. Der Sohn von Herrn Bauer wurde als technischer Leiter tätig. Die Maschinen, die für Hilchenbach
bestimmt waren, gingen nach Sachsen. In einer leerstehenden Spinnerei in Reichenbach im Vogtland wurden die ersten Horch-Wagen
gebaut und zwei Jahre später, am 10.5.1904, die Firma A. Horch & Cie, Motorwagen-Werke Aktiengesellschaft in Zwickau in Sachsen
gegründet. Die Horchwagen waren erfolgreich und auch bei allen damaligen Automobilrennen gut plaziert. Trotzdem gab es Spannungen
und Rivalitäten mit der kaufmännischen Leitung der AG. August Horch schied aus der Firma aus und gründete am 16.7.1909 die August
Horch Automobilwerke GmbH in Zwickau, ein Konkurrenzunternehmen, mit einem Anfangskapital von 200.000 Mark. Die alte Firma A.
Horch klagte auf Namensänderung bis zum Reichsgericht. Horch durfte für seine neue Firma seinen Namen “Horch” nicht verwenden. Im
Jahr 1910 wurde stattdessen der Name “AUDI” Automobilwerke GmbH ins Handelsregister eingetragen. “AUDI” ist die lateinische
Übersetzung von “HORCH”. Am 1. Juni 1932 erfolgte die Zusammenlegung der Firmen AUDI, DKW, HORCH und WANDERER. Die neue
Firma erhielt den Namen “Auto-Union A.G.” mit Sitz in Zwickau und verwendete vier Ringe als Symbol. Am 3.2.1951 verstarb A. Horch 83
-jährig in Münchberg. Seit 1949 firmiert die Autofirma wieder mit dem einstigen lateinischen Horch-Namen “AUDI” mit Sitz in Neckarsulm.
Wer weiß, wie Hilchenbach heute aussehen würde, wenn die Ansiedlung im Jahre1902 gelungen wäre.
Quellennachweise
Die Informationen stammen aus dem Werk “Ningeln Bau”, Ein Beitrag zur Industriegeschichte in Hilchenbach, Ulrich Schmidt, mit einem Kapitel Hilchenbacher
Industriegeschichte von F.W. Busch und F. Klein, November 1991, Ulrich Schmidt, Hilchenbach, Fabrik für Schraubwerkzeuge, Gesamtherstellung: Weyandt Hilchenbach.
Das Buch ist sehr empfehlenswert für denjenigen, der die Hilchenbacher Industriegeschichte näher kennenlernen möchte
Das Bild 1 stammt ebenfalls aus dem Werk “Ningeln Bau” - vollständige Literaturangabe siehe oben
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